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LESEPROBE

Methernitha
Wie wird sie aussehen? Sie sagten: «Sie sieht aus wie ein Engel und spricht seit Wochen kein einziges Wort mehr.» Was war geschehen? Gaby und ich hatten uns zum letzten Mal vor einem Monat gesehen, bei der religiösen Gemeinschaft «Methernitha», in einem kleinen Dorf namens Linden in der Schweiz, wo sie seit einiger Zeit lebte. Damals, vor vier Wochen, brachte man uns beide in zwei einsame Waldhütten, wo wir getrennt voneinander drei Tage verbringen sollten, ohne Essen und alleine in der Natur. «Ihr müsst euch voll auf Gott konzentrieren», trichterten sie uns ein. «Sprecht Gebete zu den Bäumen und taucht völlig ein in die Natur.» Diese Aufgabe wiederholten wir wieder und wieder, bis unsere innere Stimme immer lauter zu uns zu sprechen anfing und unser Herz pochte. Dann, am zweiten Tag, brach ein heftiges Gewitter über uns herein. Blitze zuckten nieder. Donner ließ die Bergwelt um uns herum erzittern. Ich fürchtete mich zu Tode, und während draußen das Unwetter tobte, zog vor meinem inneren Auge mein ganzes Leben an mir vorbei. Bilder aus meiner Kindheit tauchten auf, die schon längst vergessen schienen. Ich fühlte mich schuldig und elend. Dann, nach drei Tagen, haben sie mich abgeholt. Gaby haben sie vergessen, ganze sieben Tage und Nächte lang. Ich fragte mich: «Ist es Gott, ist es Jesus, der dort in den Schweizer Bergen zu uns spricht, oder sind es okkulte Machenschaften?» Damals wusste ich es nicht. Aber meine Suche nach Gott stand im Mittelpunkt.

Die Rückfahrt
Die drei Tage in der Hütte, das schreckliche Gewitter, die Einsamkeit und der Zustand von Gaby hatten das Fundament meines Lebens erschüttert. Für die Außenwelt war ich der junge, erfolgreiche Manager, der es sich zum Ziel gemacht hatte, seine Karriere so lange zu verfolgen, bis er ganz oben angekommen war. Früher war die Frage «Was ist nach dem Tod?» vielleicht ein-, zweimal pro Jahr aufgetaucht. Nun verfolgte sie mich auf Schritt und Tritt. Sollte ein erfolgreicher junger Mann (wie hochnäsig ich damals war) einfach irgendwann sterben, und das war es dann? Warum dann die ganze Mühe und das Streben nach Erfolg? 

Wiedergeburt
Ich erinnere mich gut an den Tag von Gabys Flucht aus der Methernita, als ich sie abholte aus der Schweiz. Wir beide sind mit Herzklopfen über die Grenze gefahren, da wir dachten, wir werden verfolgt. Als der Zöllner uns dann an der Grenze durchgewunken hat, fiel uns ein Stein vom Herzen. Gaby war wohlauf und wieder bei mir. Danach haben wir zusammen angefangen, in der Bibel zu lesen. Stundenlang, tagelang. Wir konnten nicht aufhören. So stiessen wir auf die Stelle wo Jesus zu Nikodemus spricht:  «Ich versichere dir, nur wer durch Wasser und durch Gottes Geist neu geboren wird, kann in Gottes Reich kommen!» Da war sie, die Antwort. Vor unseren Augen. Eine geistliche Geburt von oben, von Gott und von seinem Geist gegeben. Wir jubelten. Wow, wir hatten die Antwort gefunden. Wir sind wiedergeboren, durch Gottes Geist, der sich denen offenbart, die ihn von Herzen suchen.

Nitchevo – innere und äußere Schönheit 
Schon jetzt war mir klar: Nun geht es nicht mehr vorrangig um mich, es geht um Gottes Plan in unserem Leben. Das Geschäft mit der «äußeren Schönheit» musste wohl ausgetauscht werden mit dem Geschäft der «inneren Schönheit». Eine letzte große Aufgabe bei Juvena lag jedoch noch vor mir: die Lancierung des Parfüms «Nitchevo» im Spätjahr 1973. Ein absolutes Highlight für Juvena. Es sollte ein rauschendes Fest werden mitten in Paris. Leute aus der ganzen europäischen Prominenz waren eingeladen. Die Verantwortung für die «Dufttaufe» in Paris fiel in mein Ressort als Marketingchef. Bis zum Morgengrauen sollte die Party dauern, und die letzte Station des Abends durfte natürlich nicht fehlen: ein Besuch im «Crazy Horse», dem berühmt-berüchtigten Varieté, nahe den Champs-Élysées. Auf einmal stand ich da und sagte zu mir: «Haben die eigentlich noch alle Tassen im Schrank?» Es sollte meine letzte Amtshandlung werden. Meine Entscheidung für Jesus Christus war so elementar, dass auch meine berufliche Zukunft neu gestaltet werden musste.

Das Treffen 
Da saßen wir nun, Hermann Schulte, Gaby und ich. Es stellte sich schnell heraus, dass beim Verlag HSW kein Geld mehr vorhanden war. Wir fragten uns: «Was haben wir damit zu tun?» Da zog er plötzlich seine letzten Geschäftsbilanzen aus seiner Aktentasche, nur um uns zu zeigen, dass sein Verlag eigentlich keine Überlebenschance hatte. Zu viele Schulden wiesen die Geschäftsbücher aus. Am Schluss unseres Treffens fragte mich Hermann Schulte unverblümt: «Wollen Sie nicht bei HSW Geschäftsführer werden?» Welches Ansinnen! Der Mann kannte mich doch überhaupt nicht. «Wenn es Gottes Wille ist, dann kommen Sie, wenn nicht, dann bleiben Sie im Kosmetik-Business! Persönlich würde ich Sie für verrückt erklären, wenn Sie zu mir kommen, aber wie gesagt, ich bin außen vor, das ist Gottes Angelegenheit.»

Ein finanzielles Wunder
Einige Tage später kam ein Anruf des neuen Vorstandsvorsitzenden der Wetzlarer Sparkasse. Einer seiner Gründe, nach Wetzlar zu kommen, war, um mit mir ausführlich über den Verlag Hermann Schulte Wetzlar zu sprechen. «Wissen Sie, Herr Gerth, ich bin Christ und sehe eine Aufgabe darin, Ihnen zu helfen.» Das war nun ein echtes Wunder zur richtigen Zeit. Da tauchte der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse aus heiterem Himmel auf, übernahm alle Schulden der anderen Banken und gab uns die Chance für einen kompletten Neuanfang. Wir waren platt!

Jonis Verheißung
1987 tourte Joni Eareckson Tada, die gelähmte Erfolgsautorin aus Amerika, mit uns durch die deutschsprachigen Länder. Joni erlitt mit siebzehn Jahren einen schrecklichen Badeunfall, bei dem sie ihr Genick brach und fortan gelähmt blieb. Sie war durch ihre Lähmung zum Glauben an Jesus gekommen. Eines ihrer Lebensmottos war: «Gott lässt zu, was er hasst, um zu erreichen, was er liebt.» Sie schrieb ihre Geschichte auf, und ihre Autobiografie wurde ein Weltbestseller mit über drei Millionen verkauften Exemplaren. So war Joni also bei uns zu Gast, und wir zeigten ihr die beiden Grundstücke, die für unser neues Verlagsgebäude in Frage kamen. Angekommen in Berghausen, standen wir vor dem Areal auf dem Hügel, vor uns ein riesiges Kornfeld. Was dann folgte, war ein wahrhaft alttestamentliches Geschehen. Da saß sie in ihrem Rollstuhl, hob die Hände ein wenig, so weit, wie das mit ihrer Lähmung möglich war, und sagte diese bedeutsamen Worte: «Klaus and Gaby, here is the place to build the publishing house. Every crop in the field will be a won soul for the Lord.» (Dt.: Klaus und Gaby, dies ist der Platz, wo ihr euer Verlagsgebäude bauen sollt. Und jedes Weizenkorn auf diesem Kornfeld steht für eine Seele, die für Gottes Reich gewonnen wird.) Wir waren sprachlos.

Die Krise
1990 schien es, als hätte uns die Vergangenheit eingeholt. Uns wurde plötzlich alles zu viel. Die Gemeinde, das Dorf Berghausen, manche Dinge im Verlag und auch die Entwicklung unserer beiden Kinder. Wir fragten uns, ob wir in einer konservativen fundamentalistischen Ecke gelandet waren! Hatten wir umsonst ein Vierteljahrhundert auf alles «Weltliche» verzichtet? Wir fanden einfach keine Antworten mehr auf die großen Fragen, die uns bewegten. Gaby und ich schlitterten in eine tiefe Glaubenskrise. Wir beschimpften uns, stritten sehr oft und dachten über eine Trennung nach. Als ich eines Abends nach Hause kam, war die Eingangstür abgeriegelt. Nach mehrmaligem Klingeln vernahm ich über das Haustelefon die Stimme von Gabys Freundin, die mich wissen ließ, ich möge mich gefälligst aus dem Staub machen, ich hätte hier nichts mehr zu suchen. So zog ich für zwei Nächte ins Hotel und erfuhr erst später, dass meine Frau, die es offensichtlich mit mir nicht mehr aushielt, mit ihrer Freundin ziemlich viel Rotwein getrunken hatte. Sie tanzten vor lauter Übermut auf dem Tisch in unserem Haus. Endlich war man mich los. Wahrscheinlich war es für die meisten, die uns kannten, unvorstellbar, dass wir diesen Fluchtversuch unternahmen. Da ich die Verlagsarbeit in Wetzlar lieben gelernt hatte, konnte ich mich bald wieder eines Besseren besinnen und meine Flucht Zug um Zug beenden. Geholfen hat mir in dieser Zeit die Freundschaft mit Dr. Robert Schuller, dem Gründer und Pastor der berühmten Crystal Cathedral in Orange County vor den Toren von Los Angeles. Schuller war ein liebenswerter Mann, ein großer Rhetoriker und stets voller Tatendrang. Er sagte zu mir: «Alles ist möglich durch den (Jesus), der uns stark macht.» Der Glaube, dass Jesus alles vollbringen kann und er selbst Unglauben und kaputte Beziehungen heilen kann, war mir eine große Hilfe in der Zeit der Krise. Schlussendlich haben wir sie mit Gottes Hilfe überwunden. Wir rauften uns wieder zusammen, und es wurde fortan in unserer Beziehung sogar schöner und stabiler als zuvor. Schließlich sind wir nun seit achtundvierzig Jahren zusammen.

Schätze im Himmel
Bestimmt stand für viele die mich kennen einmal die Frage im Raum: Warum hatte Gerth Medien fünfunddreißig Jahre lang Gewinne erwirtschaftet, während viele unserer Mitbewerber in der gleichen Zeit mit existenziellen Nöten zu kämpfen hatten? War Klaus Gerth mit seinem Team besonders begabt, oder profitierte er von besseren Voraussetzungen? Nichts von dem könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Weder war ich ein überragender Spender, der überall Almosen verteilt und den Zehnten genau abzählt, noch habe ich die besten Voraussetzungen gehabt. Ich galt ja als Paradiesvogel, von dem man dachte, irgendwann würde er schon noch Schiffbruch erleiden. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Geschichte, damals ganz am Anfang, als meine Sekretärin unsere Firma um zigtausend Mark betrogen hat. Wir haben bereits damals geglaubt, was im Buch der Sprüche (6,31) steht, nämlich dass alles, was man uns wegnimmt, siebenfach zurückerstattet wird. Alles, was wir besitzen, besitzen wir aus Gnade. Unser ganzer Besitz ist «Amazing Grace», wunderbare Gnade, die uns unser ganzes Leben lang begleitet hat.
Ganz ehrlich, wir können Gott einfach nur danken für alles, was er für uns getan hatte. Alleine hätten wir das nie und nimmer geschafft. Oft schaue ich zurück und kann kaum glauben, was für eine wunderbare und spannende Zeit in der Verlagsbranche wir erleben durften. Die Bibel fordert uns auf, unentwegt dankbar zu sein. Diese Dankbarkeit wurde zu einem zentralen Thema in unserem Leben, besonders auch in schwierigen Zeiten.
 
Erste Liebe
Encino ist ein hübscher Ort im südlichen Teil des San Fernando Valley. Es gibt viele gute Restaurants, hübsche Läden, Golfplätze, und überall wachsen Palmen. Vor allem scheint das ganze Jahr die Sonne. Wir kamen gerade an und waren dabei, uns zu akklimatisieren. Auch in meinem Inneren fand eine Art Klima-Wechsel statt, und ich entdeckte ganz viele Dinge wieder in meinem Leben, die für viele Jahre verschüttet waren. Im Fernsehen waren immer noch meine Freunde zu sehen, die wie damals das Evangelium verkündigten. Sie predigten noch mit demselben Feuer, das mich vor über vierzig Jahren in Chicago auf meine Knie gezwungen und mein Herz entflammt hatte. So wie ich waren auch sie älter geworden, ihre Haare waren ergraut, und die Gesichtszüge hatten Falten. Aber sie strahlten noch dieselbe Leidenschaft aus wie damals.Unser Umzug nach Amerika sollte nicht nur geografisch unser Leben verändern, auch unsere Herzen wurden neu ergriffen. Auf einmal stand wieder das Studium der Bibel im Vordergrund. Gaby und ich fühlten uns wieder mit hineingenommen in das überaus aktive Glaubensleben. Ein brennendes Verlangen erwachte, noch einmal mitzuwirken bei der Verbreitung der Frohen Botschaft. Wir waren plötzlich wie verändert. Wenn ich unterwegs war, verschenkte ich Geld an Arme, ich war freundlich zu jedermann und hätte am liebsten sofort jeden überzeugt, es mit Jesus zu wagen. In der Offenbarung von Johannes las ich wieder und wieder:
 «… um meines Namens willen arbeitest du und bist nicht müde geworden. Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlassen hast» (Kap. 2,3–4).[vh1] 

Das war es, genau das ist passiert. Nun durfte es jeder wissen, wir hatten die erste Liebe verlassen und sie jetzt wieder gefunden. Jedem, der es hören wollte, habe ich es erzählt. Meine Umwelt spürte die Veränderung in unserem Leben. Urplötzlich ist Erweckung in unseren Herzen ausgebrochen, so wie wir sie am Anfang unseres Glaubenslebens erfahren haben. Doch wo genau kam er her, dieser Wandel?

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